Bist Du irre? Warum machst Du sowas?

Ich stehe mit einem Kumpel am Rand einer Rollbahn und blicke entspannt in Richtung Sonnenuntergang. Ein fantastischer Sommerabend mitten im Grünen geht zu Ende. Die Sonne beginnt sich zu verabschieden, indem sie alles in ein orangenes Licht taucht. Plötzlich verstummt das Zirpen der Grillen und ein mechanisches Surren wird lauter. Dann pfeift ein kleiner Orkan durch meine Klamotten. Das Schätzchen ist da: Die Pilatus Porter. Der fliegende Transporter mit Kultstatus. Jetzt geht alles sehr schnell. Schiebetür auf, acht Leute rein und los gehts auf die Startbahn. Keine 5 Minuten später blicke ich von oben auf meine Heimat. Einfach schön, die hessische Landschaft.

Im Flieger gemischte Stimmung. Die einen unterhalten sich fröhlich scherzend, andere sind etwas blass um die Nase und blicken angespannt in die Runde. Jeder hat so seine eigene Methode mit der Anspannung umzugehen.
 Der Anlass für den Flug ist für beide Gruppen derselbe und wird nach etwa
20 Minuten Flugzeit im wahrsten Sinne „offensichtlich”. Udo, der Pilot, drosselt
den Vortrieb und die Pilatus wird spürbar langsamer. Kurz darauf grinst
er und nickt einmal kurz. Das war für alle das Zeichen. „EXIT!” rufen einige
 im Chor und einer der Jungs an der Schiebetür öffnet fast die komplette Seitenfront
 der Flugzeugkabine. Unter uns 4000 Meter nix – außer Luft und die 
hessische Landschaft. Schwupps, sind die ersten durch die Tür verschwunden
 und fallen nach unten. Jetzt sind wir dran. Ich klettere durch die Tür nach
 draußen in den Fahrtwind, stehe auf einem Trittbrett und halte mich an einer 
Reling fest. Mein Kumpel hängt sich neben mich, eine Hand an der Reling,
 die andere an einer Griffleiste meiner Sprungkombi. ”Ready – set – gooo!”
 und schon fallen wir zusammen durch die Luft. Die Beschleunigung nimmt zu
 und nach wenigen Sekunden trägt der Fahrtwind. Fühlt sich an wie Fliegen. 
Wir lösen die Griffe und fliegen auf gleicher Höhe frei voreinander. Zwischendurch 
immer wieder der schnelle Blick auf den Höhenmesser an der linken
Hand. Jetzt das einstudierte Programm: Greifen, loslassen, linksdrehen, greifen,
rechtsdrehen … Hey, das klappt diesmal erstaunlich gut. Mit ein wenig
mehr als 130 Sprüngen gilt man im Fallschirmsport noch als Anfänger. Umso
 mehr freuen wir uns über das Gelingen. Was auf Youtube nach „ey, total easy 
Alter” aussieht, ist im echten Freifall
 mitunder sauschwer und braucht
 viel Übung. Was dagegen total leicht
 funktioniert, ist das „Pullen” – im allgemeinen
 Sprachgebrauch als „Reißleine
ziehen” bekannt.

Nachdem wir uns in vereinbarter
Höhe voneinander getrennt haben,
 öffne ich bei 1000 Meter meinen
 Fallschirm und checke was mir so
 beigebracht wurde. Schirm ok? Offensichtlich
 ;-).  Auf Kollisionskurs mit 
anderen Springern? Alles gut, mein 
Kumpel ist weit entfernt. Höhenkontrolle? 
OK, wäre noch hoch genug
 für den Abwurf des Hauptschirms
 und die Reserveöffnung. Blick nach 
unten? Danke Udo, wieder topp abgesetzt:
 Der Flugplatz ist direkt unter
 mir. Wind- und Landerichtung chekken
 und zwischendurch immer wieder
 Landschaft und Sonnenuntergang genießen. Der Höhenmesser zeigt 300 Meter.
 Alles klar, los gehts mit dem vorgegebenen Landeanflug. So sehr die Fallschirmspringer 
auch als die Punker der Lüfte gelten, zumindest hier am Platz sieht 
man es mit den Landevorschriften recht streng. Platzrunde nach Vorgabe fliegen
 und die Landewiese anpeilen. Hui – heute kein Gegenwind. Also geht alles mit 
deutlich mehr Vorwärtsfahrt nach unten. Jetzt den Schirm mit den Steuerleinen 
sanft abfangen. Ich stehe glücklich auf der Wiese. Warum ich diesen Irrsinn
 mache? „Weil ich es will!”

An der Wiese warten bereits Vera und Tom, um sich zu verabschieden. Beide hatte 
ich vorher bei Ihrem Tandemsprung begleitet, einem Fallschirmsprung bei dem man
 ohne aufwändige Ausbildung an einem Profispringer hängend mitspringen kann. 
Die beiden Inhaber von 3Hmed sind sehr engagiert in der Hilfsmittelversorgung 
von Kindern und wollten mal raus aus dem Alltag. Wir hatten uns bei
 footpower-Seminaren kennen und schätzen gelernt. Vera, die Frau mit Gleitschirmerfahrung,
 war die erste, die von der Idee eines Tandemsprungs sofort
 total begeistert war. Tom entschied sich auf dem Sprungplatz spontan auch
 mitzuspringen. Großer Respekt! Manchmal braucht es einfach solche emotional 
herausragende Erlebnisse, um den Alltag für eine Weile mit Abstand betrachten
 und Prioritäten neu einordnen zu können. Ich freue mich schon auf den nächsten 
Sprung mit Euch, Vera und Tom!

Thomas Schmidt