Tennis – mein Triumph über mich selbst.
Story von Lothar Jahrling
Akzeptanz, Resignation, Endorphinrausch, Wut, Glück und eine ganze Palette weiterer Emotionen und geistiger Zustände habe ich beim Tennisspielen durch- und erlebt. Der Sport hat mir mehr gegeben, als ich ihm jemals zurückgeben kann. Doch das wohl Wichtigste, was ich beim Tennis gefunden habe, war ich. Sie wollen die Geschichte hören? Dann schnallen Sie sich an.
Die wertvollste Sorte Freund im Leben ist wohl die, die kein Blatt vor den Mund nimmt und jederzeit mit Ehrlichkeit brilliert. Im Alter von 34 Jahren hatte ich das Glück, dass mein damaliger Freund und Arzt zu dieser wertvollen Sorte gehörte. Mit vier einfachen Worten hat er mein Leben auf den Kopf gestellt und grundlegend verändert: „Du bist zu dick!“ Wer hört das schon gerne? In bester Nostradamus-Manier prophezeite er mir, 50-jährig als Diabetiker zu sterben, sollte ich meine Lebensweise nicht ändern. Er empfahl mir, doch endlich mit Sport zu beginnen und auf meine Ernährung zu achten. Ich bin ihm heute noch dafür dankbar! Als von Terminen getriebener Unternehmer musste ich nun eine Disziplin finden, die mich genug reizte und motivierte, um nicht nach drei Monaten wieder das Handtuch zu werfen. Ich wusste, dass ich ein Spielertyp bin, also konnte ich Sportarten wie Rudern, Boxen, Joggen, Radfahren und einige andere direkt ausschließen. Wie der Zufall es wollte, war eine damalige Patientin von mir Tennislehrerin.
Tennis!? Aus einem Impuls heraus fragte ich sie direkt, ob es möglich wäre, dass sie mir das Tennisspielen beibringt. Und siehe da – Barbara nahm sich meiner an und entführte mich in die Welt des „Weißen Sports“. Bereits mit dem ersten Schritt auf dem Court war ich dem Sport verfallen. Er hat mich gepackt und nie wieder losgelassen.
Zwei Jahre und minus 30 Kilogramm später
Mit viel Geduld, Können und Fingerspitzengefühl formte Barbara sinnbildlich aus einem unsportlichen Klumpen Ton einen motivierten Tennisspieler mit akzeptabler Figur. Es dauerte lediglich zwei Jahre und minus 30 Kilogramm, bis sie mir empfahl, meine Technik in einem Verein weiter zu verfeinern und das eine oder andere Defizit, das offensichtlich noch vorhanden war, auszumerzen. Fortuna meinte es weiterhin gut mit mir und dem Tennis: Ich trat einem Verein bei, dessen Mitglieder mich immer motivierten, am Ball zu bleiben. Tennis zu spielen füllte mich voll und ganz aus. Wie ein Welpe konnte ich meinem Spieltrieb nachgehen, war in Bewegung und die meiste Zeit des Jahres an der frischen Luft. Doch das Wichtigste war, dass ich mir um Themen wie Diabetes und einen verfrühten Abschied von dieser Welt keine Gedanken mehr machen musste. Diesen Satz hatte ich klar für mich entschieden. Allerdings gibt es noch einen weitaus wichtigeren Punkt, warum Tennis eine so bedeutende Rolle in meinem Leben eingenommen hat: Freundschaften. Den Großteil meiner aktuellen Freunde habe ich beim Sport kennengelernt. Es ist einfach ein extrem gutes Gefühl, wenn man ein Hobby mit Menschen teilen kann, die genauso verrückt danach sind wie man selbst. Das schweißt zusammen und hilft, am Ball zu bleiben. Ehe man es sich versieht, wird aus einem Einzelsport ein Mannschaftssport, aus Tenniskollegen eine Familie. Dazu kommt, dass ich dank meines Berufes vielen Tennis-
enthusiasten helfen konnte und auch weiterhin dabei helfen kann, das Verletzungsrisiko zu minimieren und mit etwas Glück verletzungsfrei bis ins hohe Alter spielen zu können. Auf diese Weise kann ich den Menschen und dem Sport etwas zurückgeben.
Die Profis und ich
2004 hatte ich das Privileg, mit meiner beruflichen Expertise im Leistungssport helfen zu dürfen. Von diesem ersten Einsatz aus blicke ich inzwischen auf gut 15 Jahre Betreuererfahrung im Profitennis zurück. Ich hatte die Ehre, die Top 10 der Weltrangliste zu versorgen – männlich wie weiblich. Es erfüllt mich mit Stolz, wenn ich mir im TV oder live ein Turnier ansehe und weiß, dass viele der teilnehmenden Spieler meine Einlagen tragen. Die Aufregung und Spannung, die einen überkommt, wenn man in der Player’s Box von Stanislas „Stan“ Wawrinka sitzt und mitfiebert – das sind unbezahlbare Momente. Zu diesen Höhenflügen gesellt sich gerne die Realität, wenn man am darauffolgenden Tag selbst auf dem Court steht und merkt, dass die eigene Rückhand nicht so gut ist wie die von Stan Wawrinka. Na gut, wenn ich ehrlich bin, sind keine meiner Schläge auch nur annähernd so gut wie die von Stan. Aber Selbsterkenntnis ist ja
bekanntlich der erste Schritt zur Besserung …
Neben all den aufregenden Momenten auf dem Platz und an der Seitenlinie hat mich der Sport etwas gelehrt, womit ich nicht gerechnet hatte: die Reduzierung auf das Wesentliche – Spaß! Beim Tennis kann man Fehler nicht auf Teamkameraden schieben. Man ist Held und Verlierer in einem. Da ist es schwer, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Ich denke, jeder, der aktiv einen Sport betreibt oder betrieben hat, wird mir zustimmen, dass es manchmal sehr schwer ist, die Schuld nicht beim Schiedsrichter, beim Equipment oder gar beim Wetter zu suchen. Doch ich habe schnell gelernt, dass nur ein schlechter Schreiner die Schuld bei seinem Werkzeug sucht. Selbstbeherrschung war wahrscheinlich die härteste Lektion, die ich lernen musste. Nicht selten kam es vor, dass ich meinen Frust an meinem Schläger ausgelassen habe, wenn der nicht so wollte wie ich. Ich glaube, es war, nachdem ich meinen dritten Schläger ins Jenseits befördert hatte, als mich mein damaliger Trainer Stephan zur Seite nahm und dieses kurze, aber wichtige Gespräch stattfand:
Stephan: „Warum bist du eigentlich hier?“
Ich: „Na, um Tennis zu spielen.“
Stephan: „Falsch – um Spaß zu haben!“
Seit diesem Tag ging nie wieder ein zerbrochener Schläger auf mein Konto. Ich habe akzeptiert, dass mein Spiel niemals perfekt sein wird. Dass ich niemals perfekt sein werde. Psychisch und physisch bin ich nicht fehlerlos, und das ist auch gut so. Denn meine Stärken und Schwächen machen mich zu dem Menschen, der ich bin, und dieser Mensch gefällt mir. Dieser Mensch kann Spaß haben, auf und neben dem Platz. Ob Sieg oder Niederlage: Wenn ich den Spaß in den Mittelpunkt stelle, gibt es nichts zu verlieren. So gesehen hat mich Tennis in zweierlei Hinsicht gerettet: zum einen körperlich-gesundheitlich, zum anderen emotional. Danke, Tennis!